„Hermeneutik“ – dieser Begriff taucht in der Diskussion um die Frauenordination in der SELK immer wieder auf, in letzter Zeit sogar vermehrt. Prof. Dr. Achim Behrens stellt uns nun einen aktuellen Text zur Verfügung, der eine leicht verständliche und doch umfassende Einführung in das Thema Hermeneutik und das in der SELK gültige Hermeneutikpapier, die „Biblische Hermeneutik“, darstellt. Zwei wichtige Kernaussagen: Die „biblische Hermeneutik“ der SELK ist eine „Abwehr“ von biblizistischer und fundamentalistischer Bibelrezeption. Und: Das Hermeneutikpapier der SELK beantwortet die Frage nach der Frauenordination NICHT.
Warum beschäftigen wir uns im Zusammenhang mit dem Thema Frauenordination überhaupt mit der Hermeneutik? Hier zunächst eine kleine Chronik von Texten und Aussagen zu diesem Thema: Der 2022 veröffentlichte „Atlas Frauenordination“ der SELK beginnt mit einem Kapitel zur Hermeneutik, das in einem Vorstellungsvideo der Initiative Frauenordination präsentiert wird:
Später veröffentlichte Pfarrer i.R. Michael Pietrusky einen kritischen Artikel zum Verständnis von Hermeneutik im „Atlas Frauenordination“ in LUTHERISCHE BEITRÄGE Heft 1-2024. In einer Online-Diskussion mit Achim Behrens werden einige dieser Kritikpunkte thematisiert:
Auch auf der Webseite der die Frauenordination ablehnenden „Initiative Grundordnung“ wurde im September 2024 ein Beitrag publiziert, der Grundzüge des Hermeneutikpapiers der SELK darstellt und daraus Aussagen zum Thema Frauenordination ableitet.
Nun legt Prof. Dr. Achim Behrens, der Rektor der Lutherischen Theologischen Hochschule der SELK, den oben erwähnten neuen Beitrag vor, der auf einem Vortrag basiert, den er am 09.11.2024 in der Stuttgarter Immanuel-Gemeinde der SELK gehalten hat: „Gottes Wort in der Bibel verstehen! – Anmerkungen zum Thema ‚Hermeneutik’ und zum Papier ‚Biblische Hermeneutik‘ der SELK“. Der ursprüngliche Vortrag ist auch als Video auf der YouTube-Seite der Stuttgarter Gemeinde verfügbar (hier der Link).
Hier ein Überblick über den Inhalt seines Vortrags bzw. Textes: Behrens führt aus, dass ein zentrales Konzept der Hermeneutik das Vorverständnis ist, das besagt, dass jeder Mensch mit eigenen Vorstellungen und Voraussetzungen in das Verstehen von Texten geht. Er erläutert den hermeneutischen Zirkel, bei dem das Vorverständnis durch den Kontakt mit einem Text verändert wird und sich in einem fortlaufenden Prozess weiterentwickelt. Der Glaube wird als Vertrauen auf Gott beschrieben, das nicht allein auf intellektuellem Verstehen beruht, sondern als Geschenk Gottes angesehen wird.
Der Text thematisiert auch die doppelte Natur der Bibel: Sie ist sowohl Gottes Wort als auch Menschenwort. Die Herausforderung liegt darin, die biblischen Texte im historischen und kulturellen Kontext zu verstehen und die Bedeutung zu erkennen, die sie für die Gegenwart haben.
Behrens hebt hervor, dass die lutherische Kirche Wert darauf legt, den Wortsinn biblischer Texte zu erfassen, und dass die Auslegung im Kontext des Glaubens an Christus steht. Die „Biblische Hermeneutik“ der SELK wird als ein Rahmen vorgestellt, der die Auslegung der Bibel leitet und die zentrale Rolle des Evangeliums betont.
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass das Nachdenken über Hermeneutik auch zu Fragen über das eigene Verständnis und die unterschiedlichen Perspektiven führt, die Menschen in die Bibelauslegung einbringen. Der Vortrag schließt mit dem Hinweis, dass bei Diskussionen über Themen wie die Frauenordination und ihre hermeneutische Dimension auch unterschiedliche Weltbilder aufeinandertreffen.
Michael Sommer
29.12.2024


Danke für die beiden Gespräche und den Gesprächston.
Ich bitte um Aufklärung meiner folgenden Frage:
Pfr Pietruski spricht von einer Lehrmeinung, nach der die FO nicht möglich ist.
Wird in Oberursel zu diesem Thema überhaupt etwas gelehrt?
Das ist nach meinem Verständnis nicht nötig, weil in unserer GO geregelt ist, daß nur Männer ordiniert werden.
Da wir Bekenntniskirche sind und die Bekenntnisse nichts dazu sagen, ist es nur eine Ordnungsfrage. Die Ordnung kann geändert werden.
Eine weitere Frage ist:
CA: „was die Kirche ist“
Wer ist die eine, heilige, christliche Kirche?
Hier bin ich gespannt auf konkrete Aussagen. Ich selbst gehe davon aus, dass Luther keine Kirchenspaltung gewollt hat und interpretiere dieses Bekenntnis sehr global. Wohl wissend, dass die SELK nicht allein seligmachende Kirche ist.
Herzliche Grüße,
Guido Paulig
Lieber Herr Paulig,
vielen Dank für Ihren Kommentar und bitte entschuldigen Sie, dass er so lange unveröffentlicht gewartet hat. Zum Stichwort „Lehrmeinung“: In der Diskussion um die Frauenordination in der SELK wurde vor etwa 15 Jahren der Begriff der „impliziten Lehrentscheidung“ geprägt. Soll heißen: Dadurch, dass Art. 7(2) der Grundordnung der SELK die Frauenordination ausschließt, habe die SELK eine „Lehrentscheidung“ getroffen, aber eben nicht ausdrücklich, sondern implizit. Der Allgemeine Pfarrkonvent stellte 2009 fest, dass diese die Frauenordination ausschließenden Lehrentscheidung EINE Lehrmeinung in dieser Frage widerspiegelt. Es gibt aber unter den Gliedern der SELK eine zweite Lehrmeinung, die die Frauenordination auf Grund von Schrift und Bekenntnis NICHT ausschließt. Und 2009 gestanden sich die im APK vertretenen Geistlichen zu, dass das Vorhandensein von zwei Lehrmeinungen in dieser Frage „derzeit nicht kirchentrennend“ sei.
Ob und inwieweit die Frage der Frauenordination Gegenstand offizieller Lehrveranstaltungen an der Lutherischen Theologischen Hochschule ist, kann ich leider nicht beantworten.
Was Ihre zweite Frage betrifft, halte ich es mit einer Erklärung, die ich von dem Theologen Thorsten Dietz übernommen habe: Die Kirche Gottes hat einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil. Hier auf Erden sehen wir immer nur unseren eigenen Vorgarten, den wir nach besten Kräften und bestem Gewissen pflegen, aber das sollte uns nicht dazu verführen, die Vorgärten der Nachbarn abzuwerten.
Herzliche Grüße
Michael Sommer