Thesen für den weiteren Weg der SELK
Dieses Thesenpapier wurde von den Pastoren i.R. Hinrich Müller und Johannes Dress aus Eigeninitiative verfasst und wird in die SELK hinein verteilt. Es dient dazu, den durch den Atlas Frauenordination eingeschlagenen Weg mit den Neuansätzen konkret weiterzudenken und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Die Verfasser wünschen sich, dass sich möglichst viele Pastoren und Glieder der SELK mit diesem Thesenpapier befassen und es möglichst auch in die Gremien der Kirche hineintragen. Unter diesem Link ist das Thesenpapier auch als PDF erhältlich.
1. Eine Kirche in Ratlosigkeit
Aktuell befindet sich die SELK in einer schwierigen Situation:
1.1 Der Artikel 7/2 der Grundordnung (GO) wonach nur Männer ordiniert werden dürfen, ist seit Gründung der SELK 1972 gültiges Recht. Genauso lange – vor allem seit den 2000er Jahren – ist er aber auch umstritten. Die einen fordern die ausschließlich auf Männer bezogene Ordination beizubehalten. Die anderen fordern, dass auch Frauen ordiniert werden können. Beide Positionen berufen sich jeweils auf die Heilige Schrift, kommen aber zu gegensätzlichen Erkenntnissenund Lehrmeinungen. Auf dem Allgemeinen Pfarrkonvent (APK) 2009 wurde entschieden, dass die unterschiedliche Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit der Ordination von Frauen zum Amt der Kirche vorerst getragen wird und das Vorhandensein der beiden Positionen „derzeit nicht als kirchentrennend erachtet“ wird.[1] Damit war eine gewisse Verständigung erreicht. Dieses „vorerst“ und „derzeit“ dauert inzwischen 15 Jahre.
1.2. Seit Erscheinen des „Atlas Frauenordination“ im Jahr 2022[2] wird allerdings eine neue, z.T. auch polarisierende Debatte geführt. Dabei werden immer wieder Spaltungsszenarien zum Argument und zur Drohung, um die Diskussion über die Frauenordination und die eventuelle Änderung des Artikels 7/2 der GO zu verhindern. Gegner und Befürworter der Frauenordination (FO) stehen sich relativ unversöhnlich gegenüber.
2. Neuansätze, um aus dieser Ratlosigkeit herauszukommen
2.1 Eine Debatte, die die SELK spaltet, weil sie nur ein „Entweder – Oder“ kennt, darf nicht fortgesetzt werden.
2.2 Helfen kann, einen neuen Umgang untereinander zu pflegen. Dazu gehört, gesprächsbereit zu sein, aufeinander zu hören und respektvoll miteinander umzugehen.
Unter „respektvollem Umgang“ verstehen wir:
- Ich akzeptiere, dass ein Pfarrer oder ein Gemeindeglied der SELK eine andere (vielleicht gegensätzliche) Erkenntnis in der Frage der Frauenordination (FO) hat als ich.
- Ich akzeptiere, dass mein Gegenüber seine/ihre Erkenntnis – genauso, wie ich meine Erkenntnis – mit Gründen aus der Heiligen Schrift gewonnen hat.
- Ich verzichte deshalb darauf, eine andere (meiner Erkenntnis widersprechende) Einsicht als falsche Lehre oder als Irrlehre zu bezeichnen, denn das würde meine eigene subjektive Erkenntnis absolut setzen.
2.3 Ebenfalls kann helfen, einen Neuansatz im theologischen Denken zu finden.
- Ich erkenne an, dass es mehrere Verständnisse biblischer Texte, mehrere Überzeugungen und Positionen in einer – auch wichtigen – theologischen Frage geben kann. Eine „absolute Wahrheit“ kann keine Seite für sich beanspruchen, da es sich nicht um eine Heilsfrage handelt (s. auch Absatz „e“ in diesem Abschnitt).
- Ich erkenne an, dass sich die Bandbreite theologischer Erkenntnisse in Sachen FO (sowohl für als auch gegen die Frauenordination) innerhalb der SELK in deren Ordnungen niederschlagen sollte.
- Ich erkenne an, dass das Luth. Bekenntnis in CA 5 und CA 14 klare Aussagen zum Predigtamt macht, sowohl in der inhaltlichen Ausrichtung wie auch zur Berufung und zur Funktion dieses Amtes. Es macht aber keine Aussage zur Frage des Geschlechts der Amtsträger.[3]
- Ich erkenne an, dass die Kraft des Evangeliums, Glauben zu wirken, nicht davon abhängt, ob es von einem Mann oder einer Frau verkündigt wird, sondern von Gottes Zusagen und der Kraft seines Heiligen Geistes.
- Ich erkenne an, dass die Ordination nicht den gleichen sakramentalen Stellenwert hat wie z.B. die Taufe und das Abendmahl und entsprechend in einer Kirche unterschiedliche Auffassungen und Ordnungsregelungen dazu möglich sind. „Es ist keine Frage des Heils und der Seligkeit, ob das Evangelium von einem Mann oder einer Frau verkündigt wird. Der Glaube an Christus allein ist es, der selig macht.“ [4]
3. Welcher Weg wird mit den Neuansätzen geöffnet?
3.1 Es wird anerkannt, dass die Einbeziehung von Frauen in das öffentliche Amt keine Änderung der grundlegenden Lehre des lutherischen Bekenntnisses bedeutet, sondern lediglich eine Änderung von Art 7/2 f der GO.
3.2 Der Beschlusslage innerhalb der SELK, die seit 2009 gilt, dass das Vorhandensein der beiden Positionen zu dieser Frage (Befürwortung und Ablehnung der Frauenordination) derzeit nicht als kirchentrennend erachtet wird, wird Rechnung getragen. Diese Beschlusslage wurde seit 2009 von nachfolgenden Kirchensynoden und Allgemeinen Pfarrkonventen bestätigt.
3.3 Es wird akzeptiert, dass die beiden Begriffe „vorerst“ und „derzeit“ aufgrund theologischer Einsicht nach 15 Jahren fallengelassen werden und die beiden Positionen nunmehr in unserer Kirche gleichwertig anerkannt werden. Das, was bisher von den Befürwortern der FO verlangt wurde, die Gegenseite zu tolerieren, wird nun von den Gegnern der FO erwartet, dass sie auch die Befürworter tolerieren.
3.4 Um der Einheit der Kirche willen werden zwei unterschiedliche Ordinationspraktiken in der SELK ermöglicht: Ordination sowohl von Männern als auch von Frauen.
3.5 Die SELK beschreitet den gleichen Weg, den die australische Partnerkirche (LCANZ) derzeit geht (eine Kirche mit 2 Ordinationspraktiken).[5]
3.6 Die SELK kann damit dem im Atlas Frauenordination beschriebenen Ansatz 4 folgen: „Synode und Pfarrkonvent beschließen, dass solche Pfarrbezirke Pfarrerinnen berufen dürfen, die sich mit der notwendigen Mehrheit dafür entscheiden“.[6]
3.7 Es bedarf für die Zukunft keiner strukturellen Änderungen, sondern Pfarrbezirke, die der Frauenordination zustimmen, leben friedlich zusammen in einer Kirche mit Pfarrbezirken, die der Frauenordination nicht zustimmen, und bereichern sich gegenseitig.
3.8 Es bedarf (bis auf Art 7/2f) keiner weiteren Änderung in der Grundordnung.
4. Vorschläge für die konkrete Umsetzung
4.1 Der Art. 7/2 GO wird geändert und lautet künftig: „Dieses Amt kann Männern und Frauen übertragen werden.
4.2 Es wird ein neuer Art. 7/3 GO eingefügt, der regelt, dass nur die Pfarrbezirke eine Pfarrerin berufen dürfen, die sich mit der notwendigen Mehrheit dafür entscheiden.
4.3 Aus dem bisherigen Art. 7/3 wird Art. 7/4.
4.4 Selbstverständnis und Form der SELK bleiben so wie in der Grundordnung beschrieben.
5. Weitere Aspekte bei der Umsetzung der Änderung von Art. 7/2f GO
5.1 Die Kirche verpflichtet sich gegenüber allen Pfarrer/Innen und Vikaren/Innen im Vorbereitungsdienst, dass sie weiterhin von der gesamten Kirche in einem respektvollen Umgang empfangen und willkommen geheißen werden.
5.2 Die Kirche verpflichtet sich, Gemeinden und Pfarrbezirken Freiheit in der Frage zu gewähren, ob sie einen Pfarrer oder eine Pfarrerin berufen wollen.
5.3 Die Kirche achtet darauf, dass bei offiziellen öffentlichen Gottesdiensten Rücksicht auf die Gewissensbelange von beteiligten Pfarrern und Pfarrerinnen genommen wird.
5.4 Die Kirche achtet darauf, dass im Umsetzungsprozess der Änderung von Grundordnung Art. 7/2f das Grundprinzip des respektvollen Umgangs (siehe Punkt 2.2) Anwendung findet. Es wird zugehört, nachgefragt, erklärt, geworben, gebetet.
Soltau / Bad Bevensen 03. September 2024
[1] Dokumentation zum Beratungsprozess „Ordination von Frauen zum Amt der Kirche in der Pfarrerschaft der SELK 1999 bis 2009, S. 63, auch unter https://www.selk.de/index.php/ordination-von-frauen
[2] „Atlas Frauenordination“, Hrsg vom 14. APK 2022 (Hofgeismar), https://www.selk.de/download/Atlas-Frauenordination-SELK.pdf
[3] Der Artikel über das „Predigtamt“ im Augsburger Bekenntnis (CA 5) folgt auf den Hauptartikel „Rechtfertigung durch Glauben“ (CA 4). Das vorrangige Anliegen des Augsburger Bekenntnisses ist, dass das Evangelium von Gottes Gnade und Vergebung in Christus im Mittelpunkt der Lehre und Praxis der Kirche bleibt. Damit steht und fällt die Kirche.
Die Frage, wie es zum heilsamen Glauben an Jesus Christus kommen kann, wird in CA 5 beantwortet. Der Geist Gottes wirkt in der Verkündigung lebendigen Glauben bei denen, die das Evangelium hören und die Sakramente empfangen, wann und wo er will. Damit solche Verkündigung geschieht, hat Gott das Predigtamt eingesetzt.
In CA 14 wird festgehalten, dass nur diejenigen in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sakramente verwalten dürfen, die dazu ordnungsgemäß berufen sind. Das entspricht der heutigen Ordination. In diesen Grundartikeln besteht Einigkeit in unserer Kirche.
[4] Michael Pietrusky, in: „Die Frage der Ordination von Frauen: Ordnung – Bekenntnis – kirchliche Lehre?“ in LuThK 41 (2017), 248–292, hier: S. 257.
[5] LCANZ = Evangelisch-Lutherische Kirche von Australien und Neuseeland. Der Diskussionsprozess sowie die Beschlussvorlagen und das aktuelle Rahmenwerk unserer Partnerkirche finden sich unter: https://www.lca.org.au/wayforward/.
[6] Atlas Frauenordination, S. 24

